Theatergemeinde
München

Thea in eigener Sache: Jennifer Becker im Interview

Am 30. April 2024 ist Jennifer Becker 1.000 Tage im Amt als Vorsitzende der Theatergemeinde e.V. München. Der gemeinnützige Verein engagiert sich seit über 100 Jahren für das Publikum und für die Münchner Bühnen. Jennifer Becker gibt im Interview einen Einblick in ihr Vorstandsamt.

Jennifer Becker / Foto: Tobias Hase

Frau Becker, Sie sind die Vorsitzende der Theatergemeinde e.V. München. Was motiviert Sie?

Ich bin jetzt ein Vierteljahrhundert aus voller Überzeugung für die Kultur, die Künste und das Gemeinwohl tätig. Meine Begeisterung für unser großes Kulturangebot in München möchte ich mit möglichst viele Menschen teilen. Insbesondere das Liveerlebnis, das Miterleben und Mitmachen stehen für mich im Vordergrund. Und: es geht immer um das Publikum, die Menschen in dieser Stadt.

Damit kann ich mich gut identifizieren.

Wie sind Sie zur Theatergemeinde e.V. München gekommen?

Theater und insbesondere Tanz mag ich sehr, weil jede Aufführung besonders ist. Das gilt auch für Musik. Ich habe keine Lieblingsbühne, sondern schätze die Vielfalt. Daher wollte ich mich nicht einem Förderverein eines einzelnen Theaters anschließen. Die Theatergemeinde ist quasi der Freundeskreis für alle Münchner Spielorte und zugleich eine Publikumsorganisation. Diese beiden Perspektiven – die Förderung der Bühnen und des Publikums – machen den Verein aus.

Eine wichtige Aufgabe der Publikumsorganisationen führt der Freistaat Bayern übrigens in der Grundordnung der Bayerischen Staatstheater ausdrücklich an: sie sollen auch weniger begüterte Kreise für den Theaterbesuch gewinnen und erhalten daher Eintrittskarten zu vergünstigten Bedingungen. Ganz ähnlich hat es der Münchner Stadtrat für seine Bühnen festgelegt.

Die Idee der Teilhabegerechtigkeit finde ich absolut unterstützenswert.

Welchen Hintergrund bringen Sie und Ihre Vorstandskolleginnen mit?

Um wirksam handeln zu können, ist in Vereinen heutzutage eine hohe Professionalität nötig. Ich stelle der Theatergemeinde gerne meine Fähigkeiten im Kulturmanagement zur Verfügung. Als Verwaltungs- und Marketing-Betriebswirtin bin ich fachlich breit aufgestellt.

Dr. Tamara Karpf ist deutlich länger als ich in unserem Trägerverein, der knapp 50 stimmberechtigte Mitglieder hat. Sie lenken die Theatergemeinde. Frau Karpf hat als frühere Revisorin einen guten Einblick in alle Bereiche. Mit ihr ist eine Juristin im Vorstand, die sehr strukturiert und analytisch vorgeht und die die Kultur liebt.

Melanie Franz steht mit ihren 30 Jahren für die Verjüngung der Theatergemeinde. Sie besucht unfassbar viele Kulturveranstaltungen und betreut unser Community Programm. Es soll das Miteinander unter unseren Teilnehmer*innen fördern.

Ich freue mich sehr, dass der Theatergemeinde gelungen ist, was sich viele Vereine wünschen – jüngere dafür zu begeistern, sich zu engagieren. Das setzt voraus, dass man ihnen eigene Bereiche verantwortlich zutraut.

Der Vorstand führt satzungsgemäß die Geschäfte des Vereins. Was bedeutet das?

In erster Linie, dass wir die Entscheidungen unserer Mitgliederversammlung vollziehen und den Verein nach außen repräsentieren. Im Vordergrund steht die Umsetzung unseres gemeinnützigen Zwecks – der Kulturvermittlung.

Ganz konkret heißt das: Wir tragen die Gesamtverantwortung für das Programm des Thea Kulturklubs, das unsere Servicestelle zusammenstellt. Dort sind acht Mitarbeiterinnen tätig, die sich fünf Vollzeitstellen teilen. Sie bilden die drei Teams Programm, Service sowie Administration & Immobilien.

Der Vorstand steuert natürlich auch die Finanzen des Vereins und ist in unserem Fall für das Immobilienmanagement für drei vereinseigene Wohn- und Geschäftshäuser zuständig.

Wir haben aus Kostengründen auf eine teure Geschäftsführungsposition verzichtet, die es früher gab. In unserem Verein fließt möglichst jeder Euro in die Förderung der Bühnen und des Publikums, nicht in aufwändige Strukturen.

Mit dem Thea Kulturklub hat sich die Theatergemeinde einen frischeren Auftritt gegeben. 88% der Teilnehmenden gefällt das laut einer Umfrage gut.

Ja, wir befinden uns seit knapp drei Jahren in einem Veränderungsprozess, um unseren Verein zukunftsfähig zu machen.  Das ist der Wille der Mitgliederversammlung und auch eine zwingende Notwendigkeit, wenn man sieht, wie viele Theatergemeinden in Deutschland reihum aufgeben müssen.

Mit dem Thea Kulturklub haben wir einen Weg eingeschlagen, der viel Zuspruch erhält. Er ist die zeitgemäße Fortschreibung der Idee der Theatergemeinde. Es geht – wie vor hundert Jahren – um Kulturvermittlung und Gemeinschaft. Damit wirken wir Rückzug und Vereinsamung entgegen, gesellschaftliche Tendenzen, die seit der Pandemie noch mehr um sich gegriffen haben.

Wo besteht weiterhin Handlungsbedarf?

Wir wollen unser Angebot bekannter machen und noch mehr Menschen einladen. Mit einer Probeteilnahme kann jede*r sechs Monate kostenlos den Thea Kulturklub ausprobieren. Unsere Aktion zum WeltTheaTag am 27. März hat uns viel Aufmerksamkeit beschert und neue Teilnehmer*innen zu uns gebracht.

Rund 20.000 Kulturfans aus der Metropolregion München können derzeit die Services des Thea Kulturklubs nutzen. Rund 2.300 tun dies Solo, 1.440 sind in Gruppen ab 10 Personen zusammengeschlossen. Über 4.600 Family & Friends-Teilnahmen machen den größten Anteil aus. Dahinter stehen pro Veranstaltungsbesuch bis zu vier Personen, die gemeinsam Kultur erleben wollen.

Die Theatergemeinde hat drei Wohn- und Geschäftshäuser im Bahnhofsviertel. Wie kommt das?

In den 1950er-Jahren hat der Verein Immobilien erworben, die im Krieg stark beschädigt worden waren. Tatkräftige Mitglieder haben für die Instandsetzung gesorgt und somit für Vermögenserträge.

Wir sind seither eine faire Vermieterin, die in dieser Rolle zugleich wirtschaftlich agiert. Bei uns wohnen WGs, Familien, junge Paare, ältere Menschen. Und wir haben ein Deutschzentrum, eine christliche und eine islamische Gruppierung, ein Restaurant und einen Handyladen in unseren Häusern. Als neue Mieterin in unserer ehemaligen Schalterhalle plant die Caritas derzeit das Kulturzentrum „Careteria“, ein innovatives Konzept, auf das wir uns sehr freuen.

Was passiert mit den Mieterträgen? 

Damit können wir einen Teil unserer gemeinnützigen Kulturarbeit finanzieren. Wir unterstützen die Veranstalter*innen und das Publikum, das für einen kleinen Beitrag bei uns teilnehmen kann. Er liegt zwischen rund 1,20 und 3 Euro pro Person und Monat, je nach Teilnahmemodell.

Bei den Veranstalter*innen erhalten wir seit jeher Gruppenkonditionen, weil wir große Kartenkontingente erwerben. So können wir an unsere Teilnehmer*innen Vergünstigungen weitergeben, damit Kultur für alle bezahlbar ist.

Andere Vereine, die von öffentlichen Zuschüssen abhängig sind, dürften die Theatergemeinde um ihre Mieteinnahmen beneiden ...

Ach, wenn diesen Vereinen bekannt wäre, wie viel Aufwand die Verwaltung alter Häuser bedeutet! Aktuell müssen wir uns beispielsweise mit großen Sanierungsmaßnahmen befassen, die einen eben alle 30 bis 40 Jahre ereilen. Und dabei wollte ich, obwohl ich in Schwaben aufgewachsen bin, nie mit dem Bauen zu tun haben. Die Lernkurve als Vorständin ist steil und wir werden wie in anderen Bereichen mit der Expertise unserer Mitglieder die richtigen Entscheidungen treffen.

Das ist ja das Schöne an der Vereinsarbeit: Man macht sie nicht alleine, sondern als starke Gemeinschaft. Bei uns ziehen alle Aktiven an einem Strang, wir arbeiten in allen Gremien einvernehmlich - so kommen Beschlüsse zustande, die wir miteinander tragen. Das ist eine fortwährende Übung in Dialog, Diskussion und Demokratie.

In Zeiten, in denen gesellschaftliche Spaltungen beklagt und zugleich befördert werden, wollen wir im Kleinen zeigen, dass es auch anders geht.

 

Zum Interview mit Jennifer Becker in der AZ vom 25.10.2022

Zum Interview mit Jennifer Becker im Stadtmagazin IN München am 09.01.2023