Theatergemeinde
München

Theas Theater-ABC

Inspizienz

Ohne Emilia Holzer fängt die Vorstellung nicht an. Eine Stunde vor Beginn arbeitet die Inspizientin am Residenztheater ihre Checkliste ab, hinter der Bühne mit allen Beteiligten und im Vorderhaus beim Einlass, bevor sie mit einem Lichtsignal die Schauspieler*innen „einruft“ und vom Inspizientenpult aus die Aufführung „im Sinn der Regie fährt“. Das kann extrem fordernd sein wie bei den Rasche-Inszenierungen mit ihrer riesigen Bühnen-Maschinerie oder auch mal ein „Ausruhstück“ wie Schirachs „Gott“ vor dem Eisernen Vorhang.  Sie arbeite an der Schnittstelle von Technik und Kunst, sagt Holzer über ihre Koordinationsaufgaben, von der Requisite über die Maske bis zur Regie: „Ich habe mit allen zu tun.“ (Thea Magazin Mai 2022 zum Thema "Miteinander")


Krippenspiel

Man kann eine Karriere auch als Hirte beginnen. Der Schauspieler Maximilian Brückner jedenfalls hat sich mit dem Prolog des Riederinger Krippenspiels, wo er als Kind mitwirkte, um die Aufnahme in die Falckenberg Schule beworben – mit Erfolg. Doch das Krippenspiel ist wohl keine alpenländische Erfindung.„Schon im 13. Jahrhundert fing Franz von Assisi an, mit lebenden Personen und Tieren die Weihnachtsgeschichte nachzuspielen“, sagt der Historiker und Münchner Gästeführer Georg Reichlmayr: „Er wollte den Menschen die Erzählungen der Bibel empathisch vermitteln.“ Im Barock verwandelten die Jesuiten die religiösen Volksspiele „in die ganz große Show“ – zum „gesellschaftspolitischen Triumph der Gegenreformation“. Bis zu 1000 Darsteller zogen in München „zwischen Michelskirche und Marienplatz“ das Publikum mit einem Riesenspektakel in ihren Bann. Die Säkularisation erzwang dann den Rückzug des Krippenspiels ins „bürgerlich-private Wohnzimmer“. Manche Pfarrei pflegt alljährlich die Tradition des Krippenspiels, oft in Varianten von Tobias Reisers bairischer Urfassung von 1946 für das Salzburger Adventsingen. Das Münchner Volkstheater bringt auch heuer das Riederinger Stück „Ein Stern ist aufgegangen“ auf die Bühne – mit Mädchen und Buben in Brückners Fußstapfen. (Thea Magazin Dezember 2022/ Januar 2023 zum Thema "Heilig")


Lampenfieber

Rituale helfen ebenso wie Routine, um sich gegen allzu heftiges Nervenflattern zu wappnen. Manche machten vor dem Auftritt Atemübungen, andere schwiegen oder lägen still da, sagt die Dozentin Caroline Schlockwerder, Dozentin für angewandte Theaterwissenschaft an der Otto-Falckenberg-Schule. Alle pflegten ihre ganz persönliche Methode. Im Lauf der Zeit lernt man auch, mit der Aufregung umzugehen. So gibt es an der renommierten Schauspielschule alle sechs Wochen ein öffentliches Vorspielen, zu dem Studierende und Lehrende, aber auch Außenstehende eingeladen sind. Jeder Auftritt wird mit viel Applaus belohnt. Das vermittelt Sicherheit und trägt dazu bei, dass aus dem notwendigen Adrenalinschub keine Angststörung wird. (Thea Magazin Juni 2022 zum Thema "Mut")


Oratorium

Bach natürlich. Sein weltberühmtes Weihnachtsoratorium, das er für die Gottesdienste zwischen dem ersten Feiertag und Dreikönig komponiert hat, erklingt im adventlichen München Jahr für Jahr in mehreren Konzerten. Das Oratorium (lat. orare beten) mit seinen meistens religiös-geistlichen Stoffen vereinigt Vokal- und Instrumentalmusik und bleibt ohne szenische Darstellung. Chor, Solosänger*innen und Orchester bringen eine Art musikalisches Gedicht oder Drama zu Gehör. Die Kunstform wird über die Jahrhunderte bis in unsere Gegenwart kompositorisch genutzt.  (Thea Magazin Dezember 2022/ Januar 2023 zum Thema "Heilig")


Premiere/Spielzeitpremiere

Überhaupt das allererste Mal: Jede Premiere ist ein Ereignis. Wird das Stück, die Inszenierung ankommen, ist das Publikum begeistert, was sagen die Kolleg*innen, wie urteilt die Presse? „Tootsie“ im Gärtnerplatztheater war jüngst so ein Erfolg, übrigens noch dazu eine „Europäische Erstaufführung“, also zum ersten Mal auf unserem Kontinent auf der Bühne. Und weil allem Anfang bekanntlich ein Zauber innewohnt, hat man sich am Gärtnerplatz noch etwas einfallen lassen: Die Spielzeitpremiere, die andernorts schlicht Wiederaufnahme genannt wird. Freuen wir uns auf so viel Neues! (Thea Magazin Sept 2022 zum Thema "Anfang")


Sommerpause

Alle im Theater freuen sich auf die lange Sommerpause, die sich an den Schulferien orientiert. Doch kurz vorher gibt es noch eine Menge Arbeit in vielen Bereichen der Technik. „Wir warten die Scheinwerfer und unterziehen alle Geräte einer Prüfung“, sagt Charlotte Marr, Mitarbeiterin in der Beleuchtung an den Münchner Kammerspielen. Nach dem großen Putzen und Testen werden die guten Stücke sorgfältig eingepackt, damit sich kein Staub ansetzt. Auch den Bühnenboden nimmt sich das Personal vor. Er wird abgeschliffen und frisch gestrichen, dann kann er in den Sommerwochen trocknen. Manchmal kehren einige Techniker*innen auch schon Ende August vom Urlaub zurück, etwa wenn eine externe Überprüfung der Obermaschinerie angekündigt ist. Beim Spielzeitbeginn im Herbst jedenfalls muss alles wieder sicher und reibungslos klappen. (Thea Magazin Juli/ Aug 2022 zum Thema "Sommer")


Schwimmen

… hat im Theater nichts mit dem beliebten Sommervergnügen zu tun. So nennt man im Fachjargon die Textunsicherheit auf der Bühne, die angeblich oft mit an Schwimmbewegungen erinnernde, ausholende Gesten kaschiert werden soll. Im „Theater-Lexikon“ von 1841 heißt es jedenfalls drastisch: „Wenn der Schauspieler nicht Herr seiner Rolle ist, so kämpft er mit dem Gedächtnisse, mit den Worten, wie der Schwimmende mit den Wellen…“. Und manchmal würde er dann sogar ein „Raub des fremden Elements“. Wie immer das Publikum sich das vorstellen mag. Quelle: Thomas Blubacher, ABC der Bühnensprache  (Thea Magazin Juli/ Aug 2022 zum Thema "Sommer")


Theatertreffen

Jeden Mai ist es soweit. Dann kommen in Berlin die „zehn bemerkenswertesten Inszenierungen“ der Saison zusammen, die eine Jury aus hunderten Regiearbeiten ausgewählt hat. Seit 1964 gibt es das „Theatertreffen“, die Einladung ist eine begehrte Auszeichnung für jedes deutschsprachige Sprechtheater. Klassische Erzählformen haben heute kaum Chancen. „Angesagt ist der hippe, woke, performative Textflächentanz“, schrieb die SZ zur aktuellen Auswahl, die seit 2020 zur Hälfte Inszenierungen von Frauen berücksichtigen muss. Die Münchner Kammerspiele sind 2022 wieder mit dabei. (Thea Magazin Mai 2022 zum Thema "Miteinander")


Toitoitoi

Natürlich wünschen sich alle Toitoitoi vor einer Premiere. Man versammelt sich bereits im Kostüm "und eigentlich spuckt man sich auch über die linke Schulter", sagt Stefan Merki von den Kammerspielen. So genau nehmen er und die Kolleg*innen das alte Ritual, das vom Unheil bannenden Wort "Teufel" abgeleitet sein soll, nicht mehr. Ein bisschen abergläubisch aber seien die meisten. Deshalb ist es streng verboten, mit "danke“ zu antworten. "Eine Premiere ist immer ein Berg“, findet der Schauspieler. Das ändert sich auch nicht, wenn man schon viele Jahre lang auf der Bühne steht. Um abends gut in Form zu sein, verbringt Merki den wichtigen Tag nicht allzu gemütlich: „Das ist energetisch ganz schlecht.“ Also, lieber sich bewegen und die schwierigen Stellen nochmal gedanklich durchspielen, bevor der Vorhang aufgeht. (Thea Magazin Februar 2023 zum Thema "Energie")


Umbesetzung

Gerade in Coronazeiten kommt es oft anders, als man denkt. Eine spektakuläre Umbesetzung gab es in München erst vor wenigen Wochen, ausgerechnet bei der Eröffnungspremiere der Opernfestspiele: Wolfgang Koch, der die große Partie des Grandier in den  „Teufeln von Loudun“ singen sollte, erkrankte. Wer konnte in der selten aufgeführten Oper kurzfristig einspringen? Die Staatsoper präsentierte dem überraschten Publikum dann eine „außergewöhnliche Lösung“: Robert Dölle vom Residenztheater spielte auf der Bühne und Jordan Shanahan sang vom Orchestergraben aus. Im Musiktheater sind – geplante – Umbesetzungen übrigens durchaus üblich, weil begehrte Sänger*innen oft nur für wenige Vorstellungen zur Verfügung stehen. (Thea Magazin September 2022 zum Thema "Veränderung")


Uraufführung

Nirgendwo sonst schon gespielt, gesungen, getanzt: Die Uraufführung (UA) ist die Krönung für jede Bühne. Und das Gärtnerplatztheater rangiert hier weit vorne. „Wir haben uns mit Staatsintendant Josef E. Köpplinger seit 2012 das Ziel gesetzt, pro Spielzeit mindestens eine Uraufführung herauszubringen“, sagt Michael Alexander Rinz, der geschäftsführende Dramaturg. Die Liste ist lang und reicht beispielsweise von der Oper „Liliom“ über das Familien-Musiktheater „Momo“, die Revueoperette „Drei Männer im Schnee“ und das Ballettmärchen „Peter Pan“ bis zum „Pumuckl“-Musical. „Meistens haben wir Ideen und Themen“, sagt Rinz, dann überlege man, welche Sparte sich eigne und wer mit dem Schreiben der Musik und des Librettos beauftragt werden könnte. Eine gute Zusammenarbeit gibt es etwa mit Marc Schubring, Schöpfer der UA „Gefährliche Liebschaften“. Für diese Saison schreibt er ein Musical über die geheimnisvolle Mata Hari, das im März 2023 herauskommen wird. Oder mit dem Österreicher Georg Reischl, der sein brandneues Alpenballett „Höhenrausch“ speziell für das Münchner Publikum kreieren wird. „Als Staatstheater haben wir den wichtigen Auftrag, nicht nur ‚nachzuspielen‘, sondern das Repertoire zu erweitern und neue Werke zu schaffen“, ist der Dramaturg überzeugt. (Thea Magazin Sept 2022 zum Thema "Anfang")


Vorsprechen

Sie haben sich auf diese Mutprobe gut vorbereitet, drei Rollen eingeübt und eine „Eigenarbeit“ gestaltet. 400 junge Leute bewerben sich jährlich in der Otto-Falckenberg-Schule, zwölf schaffen die Aufnahme in die „Fachakademie für darstellende Kunst“ der Stadt München. Caroline Schlockwerder, Dozentin für angewandte Theaterwissenschaft, erlebt Ausgelassene, In-sich-Gekehrte, Talente ohne jede Vorerfahrung. „Nach zwei, drei Minuten sehe ich etwas“, sagt sie, „die Spielfreude, das Anliegen etwas zu erzählen, das Bewusstsein für den Raum.“ Jede*r schaue anders hin, aber meistens sei sich die Prüfungskommission schnell einig. Sie denkt an einen Studierenden, der beim Vorsprechen so gar nicht der Erwartung entsprochen habe und im dritten Jahr großartig spiele. „Ich war völlig überzeugt von ihm“, freut sie sich dann. (Thea Magazin Juni 2022 zum Thema "Mut")


Werktreue

Iphigenie ist eine aufstrebende Pianistin, ihr Vater Agamemnon Ethikprofessor und der Onkel Menelaos hat das Mädchen jahrelang sexuell belästigt. Mit dieser Konstellation versetzte die Regisseurin Ewelina Marciniak bei den Salzburger Festspielen 2022 den antiken Euripides-Text und Goethes „Iphigenie auf Tauris“ in die Gegenwart – mit geteiltem Echo. Klar, mit der „Treue einer Inszenierung bzw. Aufführung gegenüber dem Text, der Komposition oder Vorlage“, wie die Definition lautet, hat das nicht mehr viel zu tun. Aber wie ist diese „Treue“ eigentlich genau zu verstehen? Die Zuschauer erwarten heute zwar keine Puderperücken, keinen exakten Wortlaut oder hohen Ton mehr, doch wie weit eine Inszenierung einen „Klassiker“ verändern darf oder sollte, daran scheiden sich die Geister. Wie schön, dass Theater so lebendig ist und immer wieder zur Diskussion herausfordert. (Thea Magazin September 2022 zum Thema "Veränderung")


Windmaschine

Der Wind kann viele Geschichten erzählen. "Er wärmt, kühlt, bewegt, wütet“, sagt Beleuchtungsmeisterin Charlotte Marr und öffnet die Technik-Schatzkammern der Kammerspiele, in denen die zum Teil mannsgroßen Eisenmaschinen lagern. Unter den Kleinsten sind es Scheinwerfer, die mit eingebauten Ventilatoren und passenden Lüftern mit nur 12 Volt arbeiten. Vereinfacht gesagt funktionieren sie alle wie ein Fön. Vor Jahren bestand einmal das Bühnenbild von „Iphigenie“ nur aus Wind. So braucht es immer wieder andere Ideen und Geräte. In der Inszenierung „Das Erbe“ bauschen sich die Vorhänge mit Hilfe von versteckten Schneckenventilatoren. Hier war zu entscheiden: Sollen 24 Minis blasen oder drei Große? In anderen Stücken gibt es Nebel und Schnee oder auch mal eine Wolke, die zu verwirbeln ist – und natürlich Geräusche. Mit viel physikalischem Knowhow lassen die Theatermenschen und ihre Maschinen solche Naturschauspiele ganz echt aussehen. (Thea Magazin Februar 2023 zum Thema "Energie")